Im Gespräch: Dr. Emanuel Merkle Autor/Moderator: Frank Aschoff Heftnummer: 6-2014
Mit welchem Beschwerdebild kommen Fußballer zu Ihnen?
Fast alle Fußballer berichten über das gleiche Beschwerdebild: Schmerzen bei sportlicher Belastung im Bereich der Leiste, meist einseitig, selten beidseits. Im Alltag hingegen sind sie oft beschwerdefrei. Sie berichten von einem Ziehen im Oberschenkel, manchmal auch verstärkt durch Husten und Niesen. Dieses Beschwerdebild ist oft nur schwer von Symptomen des Rückens und echten Leistenhernien, sowie einer banalen Zerrungen zu trennen. Mit Hilfe von Schmerzmitteln konnten die meisten Betroffenen jedoch immer noch eine Zeit lang weiterspielen!
Welche Vorgeschichte bringen Ihre Patienten häufig mit?
Die meisten unserer Patienten sind mit sehr komplexen Methoden auswärtig vorbe-handelt worden. Dabei erhielten sie zum Teil mehrere Kortisonspritzen, Stoßwellen- und/oder Magnetfeldtherapien, Eigenblutspritzen sowie die komplette Balneo- und physikalische Therapie. Es wurden Radfahren zum Ausgleich, kurze Trainingspau-sen oder nur reduzierte Belastung verordnet. Die verletzten Fußballer durchliefen viele Arztwechsel und wurden teilweise mehrfach operiert (bis zu dreimal). Dabei wurden häufig Leistenbruch-Operationen mit und ohne Kunststoff-Netz vorgenom-men und bei Persistenz Nervendurchtrennungs-Operationen angeschlossen.
Bei den Patienten wurden häufig schon mehrere MRT Untersuchungen im Vorfeld durchgeführt, oft mit unterschiedlicher Beurteilung des Befundes. Aber nur sehr selten wurde dabei von Stressfrakturlinien oder einem Bruch gesprochen.
Auf Basis welcher Verfahren erstellen und sichern Sie Ihre Diagnose?
Wichtig bei der Diagnosestellung ist, andere mögliche Ursachen auszuschließen, z.B.: Beckenschiefstände, Blockierungen im Bereich der Kreuzbein-Darmbeinfuge, Beinlängendifferenzen und Muskeldysbalancen. Die zu oft gestellten „Verlegenheitsdiagnosen“ Weiche Leiste oder Sportlerleiste sind ungenau und irreführend.
Die Bestätigung der Diagnose erfolgt in der Regel mittels einer MRT-Untersuchung mit Kontrastmittel. Der Verlauf des fast immer vorliegenden Knochenmarködems im Schambeinbeinast muss über mehrere Wochen beobachtet werden. Ohne Ödem keine Schambeinentzündung und keine Fraktur !
Warum kommen Sie in der Interpretation von Röntgenbildern, MRT usw. zu an-deren Ergebnissen als Kollegen?
Das Knochenmarködem kann sich bei weiterer Belastung (besonders wenn die Schmerzen medikamentös unterdrückt werden) zur Fraktur weiterentwickeln. Dabei können aus einer okkulten Fraktur, den sogenannten spongiösen Linien, cortico-spongiöse Rissbildungen im Knochen resultieren, die dann als Infraktion und letzt-endlich als Fraktur bezeichnet werden müssen. Und als Bruch müssen diese dann auch behandelt werden! In der Dünnschicht Computertomographie (Knochenfenster) wurden immer wieder corticale Linien entdeckt und Reparaturvorgänge beobachtet (Cave: Strahlenbelastung!). Auch im Knochensintigramm konnten frakturähnliche Anreicherungen erkannt werden.
Das einfache Röntgenbild ist ungeeignet den Zustand einer Schambeinverletzung zu deuten, da Knochenaufreibungen häufig noch nicht entstanden sind.
Der Begriff Bone bruise wird häufig verwendet, wenn man nicht von einem Bruch
sprechen möchte. Dabei steckt hier die Gefahr, der nicht erkannten okkulten Fraktur!
Wie sieht Ihre Behandlung bei der Diagnose Schambeinfraktur aus?
Die wichtigste Verordnung nach der Diagnosestellung ist die absolute Sportkarenz bis zu drei Monaten und mehr. Dazu zählt auch unbedingt der Verzicht auf das Fahrradfahren oder Schwimmen zum Ausgleich und das Training anderer Extremitäten. Es darf währen dieser Pause auch keine Physiotherapie durchgeführt werden. Ebenso soll auf entzündungshemmenden Tabletten und lokalen Spritze verzichtet werden (Gefahr der zu frühen Belastung aufgrund der Schmerzunterdrückung). Gegebenenfalls können Calzium, Fluor oder Vitamin D Tabletten eingenommen werden, um die Knochenheilung zu unterstützen. Im Einzelfall ist bei einseitigem Befund eine Entlastung mittels Gehstöcken nötig. In Ausnahmenfällen ist auch die operative Einkerbung des Ansatzes des Muskulus Gracilis und Anteile der Adduktoren am Schambeinast indiziert, um die Dauerspannung zu reduzieren. In Extremfällen haben wir persistierende Ödeme erfolgreich angebohrt, um den Konsolidierungsprozess zu beschleunigen.
Welche Rolle kann Ihrer Meinung nach die Physiotherapie nach der Ruhigstellung spielen? Welche Maßnahmen empfehlen Sie?
Nach der Ruhigstellung und Abheilung des Knochenmarködems kann dosiert mit dem Aufbautraining begonnen werden. Wir empfehlen auch hier noch MRT-Verlaufskontrollen, weil wir unter zu früher und übermäßiger Belastung erneut Öde-me erlebt haben.
Physiotherapie ist jetzt ganz wichtig um Dysbalancen auszugleichen, Kondition zu erarbeiten, Reflexe zu schulen, den Beckenboden zu stabilisieren und nicht zuletzt Dehnprogramme einzuführen, um Stress an den Sehnenansätzen zu minimieren.
Welche Ursache sehen Sie hinter der Schambeinfraktur? Wie kann Ihrer Meinung nach ein erneutes Auftreten der Beschwerden verhindert werden?
Da männliche Leistungsfußballer am meisten betroffen sind, spielen die sportartspezifischen kurzen, intensiven Belastungen wohl die größte Rolle (z.B. häufige Richtungswechsel, viele kurze Sprints und das Schießen). Auch die Veranlagungen wie Skoliosen, Beckenschiefstände, Beinlängendifferenzen, Hohlkreuz, Muskelverkürzung in den Adduktoren und in den Oberschenkelbeugern kommen als Ursachen in Betracht.
Ein erneutes Auftreten nach durchgemachter Odyssee ist selten, eher dann auf der unbeschadeten Gegenseite.
Interview: Dr. med. Emanuel Merkle, Köln, April 2014