Die Schambeinentzündung – von der Diagnose zur Therapie
Es ist und bleibt die heimtückischste und langwierigste Verletzung im Sport. Immer wieder müssen Profis wegen der Symptome der sogenannten Schambeinentzündung über extrem lange Zeiträume pausieren. Nun ist sich ein Orthopäde aus Köln sicher, die Ursache des Teufelskreises erkannt zu haben. Dr. med. Emanuel Merkle glaubt, dass das Krankheitsbild oft falsch diagnostiziert und deshalb auch falsch therapiert wird. Gestützt wird diese These unter anderem von den an Fußballprofis und anderen Leistungssportlern gesammelten Erfahrungen.
Herr Dr. Merkle, was ließ sie an den bisherigen Diagnosen und Therapien zweifeln?
Dr. Merkle: Vor allem die langen Ausfallzeiten. Es ist doch merkwürdig, dass dieses Krankheitsbild oft einen längeren Heilungsprozess benötigt als andere Sportverletzungen wie Kreuzbandrisse oder Achillessehnenrisse. Da stehen Fußballer heute nach vier bis sechs Monaten wieder auf dem Platz. Bei der Schambeinentzündung haben wir Fälle, die sich über ein halbes bis ein ganzes Jahr und noch länger hinziehe (Nationalspieler Götze 7 Monate, Bellarabi 10 Monate). Das eine erkannte und behandelte Entzündung so lange Probleme bereitet, ist sehr ungewöhnlich. Damit kann sich eigentlich kein Sportmediziner abfinden.
Sie gehen mittlerweile soweit, von einer Fehldiagnose zu sprechen. Zu welchem Ergebnis kommen Sie?
Dr. Merkle: Nach meiner Überzeugung handelt es sich nicht ausschließlich um eine Entzündung, sondern häufig um eine schleichende verborgene Fraktur im Beckenknochen, einen Ermüdungsbruch. Mit den gleichen Symptomen, wie sie häufig auch bei anderen Knochen (Fuß) auftreten. Erstaunlicherweise werden die Symptome hier aber nicht entsprechend gedeutet, gewertet und behandelt.
Wird die Verletzung demnach falsch behandelt?
Dr. Merkle: Sehr oft. Eine Fraktur erfordert zwingend eine Ruhigstellung. Den Fuß würde man sofort ruhigstellen. Das ist in der Schambeinregion leider nicht so einfach möglich.
Was hat sie letztendlich stutzig gemacht?
Dr. Merkle: Mit unserem eigenen MRT machten wir bei Verdacht sofort Beckenaufnahmen unter Kontrastmittelgabe und regelmäßige Kontrolluntersuchungen in kurzen Abständen. Wir konnten feststellen, dass lediglich reduzierte Belastung oder einfaches Pausieren zu keiner Verbesserung führte. Das Knochenmarködem, also die Flüssigkeitsansammlung im Schambeinast, war oft gewachsen.Trotz aller Therapien. Oder gerade deswegen. Obwohl Sportler direkt aus der Reha zu uns kamen, konnten wir deutlich größere Flüssigkeitsansammlungen im betroffenen Knochen erkennen.
Und warum werden diese Untersuchungen nicht regelmäßig durchgeführt?
Dr. Merkle: Das Problem ist vielschichtig. Zum einen lassen sich in dieser Körperregion Leistenschmerzen, Muskelschmerzen, Hüftschmerzen und Schambeinbeschwerden nur schwer voneinander abgrenzen, so dass die Sportler im Wesentlichen alle die gleichen Symptome schildern werden. Zum anderen sind Spieler und Vereine an kurzen Ausfallzeiten interessiert. Kein Spieler will freiwillig sechs Wochen gar nichts machen. Alle wissen, dass man dabei konditionell und muskulär enorm verlieren würde. Also versucht man es mit reduzierter Belastung, wie Radfahren, Schwimmen, Physiotherapie. Und dann wundert man sich, dass nach der ersten ernsthaften Belastung die Symptome erneut auftreten. Radfahren z.B. bringt eine absolute Verschlechterung mit sich.
Was macht Sie so sicher, dass es sich wirklich um eine Fraktur handelt?
Dr. Merkle: Wir konnten an zahlreichen chronischen Fällen mithilfe der Dünnschicht-Computertomografie kleinste Risse, sogenannte cortico spongiöse Frakturlinien und überschießende Callusanlagerungen nachweisen.
Worin sehen Sie die häufigsten Ursachen?
Dr. Merkle: Hauptverantwortlich sind wahrscheinlich Beckenschiefstände, Beinlängendifferenzen, Überlastungen beim Sport, die extremen Zug- und Scherkräfte der Adduktoren am Schambeinknochen beim Schuss, aber auch Vitamin-D-Mangel oder andere Knochenstoffwechselstörungen.
Wie sieht die optimale Behandlung aus?
Dr. Merkle: Bei einer frühen Erkennung der Flüssigkeitsansammlung im MRT mit Kontrastmittel ist eine sofortige und zunächst mindestens sechswöchige Zwangspause nötig, ohne jegliche Physiotherapie. Darüber hinaus kann manchmal eine Bettruhe von zwei bis drei Wochen bei beidseitigem Vorliegen erwogen werden. Während dieser Ruhephase darf wegen der Gefahr der zu frühen Belastung und Fehleinschätzung weder reduzierte Belastung (kein Radfahrenl) noch eine begleitende krankengymnastische oder medikamentöse Therapie erfolgen. Eine Ausnahme stellt die Vitamin-D-Gabe bei dem häufig im Winter nachgewiesenen Mangel dar. Anderweitige Behandlungen dieses Krankheitsbildes resultieren oft in auffällig langen Ausfallzeiten des Sportlers und führen letztlich zu frustrierenden Verläufen mit unnötigen Operationen an der Leiste, bis hin zum vorzeitigen Karriereende im Leistungssport. Bei zu später Erkennung der Schambeinerkrankung ist die Heilungsdauer unbestimmt. Sie nimmt häufig mehrere Monate bis Jahre in Anspruch. Die zusätzliche Behandlung mit Vitamin D, Kalzium und auch Bisphosphonaten ist aus empirischer Erfahrung in bestimmten Fällen gerechtfertigt. Operationen sind in der Regel nicht notwendig oder eher zu vermeiden, außer es liegt ein zusätzlicher und eindeutig nachgewiesener Leistenbruch (Hernie) vor. In diesem Fall ist eine Leistenoperation z.B. nach der Methode von Shouldice in Verbindung mit einer Einkerbung der Adduktorensehnen erfolgversprechend. Das von uns zusätzlich favorisierte Anbohren des Knochenmarködems im Schambeinast kann den Verlauf ebenfalls beschleunigen und die Erkrankung zur Ausheilung bringen.
Herr Dr. Merkle, vielen Dank für dasGespräch!